Der herausragende Toggenburger Erfinder, Uhrmacher, Instrumentenbauer, Mathematiker und Astronom Jost Bürgi war der Allererste, der die Zeiteinheit der Sekunde gemessen hat. Erstmals getickt hat die “pars minuta secunda” 1585 in einem von Bürgi entwickelten Uhrwerk. Dann geriet Bürgi völlig in Vergessenheit. Mit der ersten Gesamtschau “Schlüssel zum Kosmos” würdigt das Kulturmuseum St. Gallen den Toggenburger Jost Bürgi, die noch bis zum 3. März 2024 besucht werden kann.
VON ST. GALLEN IN DIE WELT
Bürgis geniale mathematisch-technische Universalität hatte grossen Einfluss auf die Entwickung epochaler Werke der Neuzeit. Die Ausstellung im Kulturmuseum ist die erste Gesamtschau zu Jost Bürgis Leben und Werk – ein Schlüssel zum Kosmos.
1552 kam Bürgi im sanktgallischen Lichtensteig zur Welt, in jenem Städchen, das in diesem Jahr den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes verliehen bekommen hat. Sein Weg führte ihn zu den Zentren der Künste und Wisschenschaften, an den landgräflichen Hof von Kassel und auch nach Prag zum Kaiser. Hier baute er die genausesten Uhren, innovative Vermessungsgeräte und die schönsten mechanischen Himmelsgloben -wahrhaftige Zeitmaschinen. Jost Bürgi arbeitete mit grossen Wisschenschaftlern wie Johannes Kepler zusammen und entdeckte als begnadeter Mathematiker die Logarithmen.
Über welche Ausbildungsstätten Jost Bürgi zu den damaligen Hochburgen der Wissenschaften und Künste gelangte, ist noch im Dunkel der Geschichte verborgen. Eine höhere Bildung war ihm offenbar verwehrt geblieben, denn Latein, die damalige Sprache der Wissenschaft, beherrschte er nicht. Umso erstaunlicher ist es, dass Bürgi mit 27 Jahren vom Kasseler Landgrafen Wilhelm IV. angestellt und in den engen Kreis der Wissenschaftselite aufgenommen wurde. Bürgi stellte seine Fähigkeiten ganz in den Dienst der Himmelsvermessung und Herstellung von astronomischen Modellen, die mechanisch angetrieben wurden und liefen, als würden sie von Gottes Hand geführt.
WEGEBEREITER FÜR DIE NEUZEIT
Noch im antik-mittelalterlichen Weltbild verwurzelt, in dem der Kosmos als göttliche, immerwährende Ordnung dem irdischen Werden und Vergehen gegenübersteht, orientierten sich die Machthaber jener Zeit bei ihren Entscheidungen am Himmel: Horoskope und möglichst exakte Prognosen von Himmelskörper-Konstellationen waren hoch begehrt, das Bestreben nach einer genauen Himmelsvermessung entsprechend gross. Aus dieser astrologischen Initiative entwickelte sich eine enorme Innovationskraft.
Zeit- und Winkelmessgeräte wurden entscheidend verbessert und schnellere und genauere Rechenmethoden erfunden. Was man dabei kaum erahnen konnte: die exakten Beobachtungen, Aufzeichnungen und Berechnungen führten zum wohl dramatischsten Umbruch im Weltbild der europäischen Kulturgeschichte. Die Erde, und damit der Mensch, verliess endgültig das Zentrum der Welt, und am Himmel konnte ein Werden und Vergehen beobachtet werden. Himmel und Erde kamen sich näher. Rein geistige Modelle mussten Folgerungen aus akribischen Beobachtungen, Aufzeichnungen, Messungen und Rechnungen weichen. Geboren war die Neuzeit. Mittdendrin in diesem Geschehen: Jost Bürgi aus dem Toggenburg.
AUSTAUSCH, AUF UND UMBRUCH
Über vierzig Exponate aus zahlreichen europäischen Museen werden im Kulturmuseum gezeigt. Den Kern bilden die Werke Jost Bürigis: feinste Uhren, astronomische und geodätische Winkelmessgeräte, Proportionalzirkel, Urkunden, originale mathematische Schriften und mehrere der schönsten mechanischen Himmelgloben. Noch nie konnten so viele Werke Jost Bürgis im Rahmen einer Sonderausstellung vereint werden. Erzählt wird in erster Linie nicht die Geschichte eines Genies, das eigenständig wissenschaftliche Durchbrüche verantwortet. Beleuchtet wird vielmehr ein einzigartiges Milieu des Austauschs über Grenzen hinweg, ein Milieu der Kommunikation, des Auf- und Umbruchs und der grosszügigen Förderung exzellenter Wissenschaft. Diese Geschichte zeigt auf, was alles möglich ist, wenn für das richtige Klima gesorgt wird und grosszügig Förderung vorhanden ist. Gleichzeitig beweist Bürgis Wirken die unerschöpfliche und zeitlose Brillanz der menschlichen Geisteskraft. Doch Bürgi wurde erst in neuerer Zeit “wiederentdeckt” – wie soviele nichtadelige Genies geriet er in Vergessenheit. Die Ausstellung ist ein späte Würdigung seiner Arbeit.
(Info-Box)
Wer hat’s erfunden, die Schweizer!
Die Minute als Maßeinheit – lateinisch pars minuta (‚verminderter Teil‘) – für die Zeit stammt aus Babylonien, einem Reich im heutigen Irak. Auf Lateinisch hieß das dann „pars minuta secunda“, die 3600stel (ein 60stel eines 60stels, also „zweiter verminderter Teil“. Daraus wurde die Sekunde.
Was hat eigentlich der Perser (Er verwendete das Sexagesimalsystem, ein Zahlensystem mit der Basis 60.) aus dem 10. Jahrhundert mit dem Schweizer (Jost Bürgi) aus dem 16. Jahrhundert zu tun: Der eine war der erste, der die Sekunde als Maßeinheit verwendete, der andere war der erste, der diese Maßeinheit tatsächlich messen konnte.
Jost Bürgi, der Mechaniker, der damals an der Sternwarte in Kassel arbeitete, entwickelte Ende des 16. Jahrhunderts ein Uhrwerk mit sogenannter Kreuzschlaghemmung. Durch diese spezielle Mechanik gehört das Werk zu den präzisesten, die damals gebaut wurden. „Erst diese Erfindung machte es möglich, eine sekundengenaue Uhr zu bauen. Das war wichtig für die Wissenschaft, für die genaue Messung und Wiederholbarkeit von Experimenten”, so historische Aufzeichnungen. Den Durchbruch für die Sekundenmessung im Alltag brachten die Pendeluhren, die Ende des 17. Jahrhunderts aufkamen.
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