Vor genau zwanzig Jahren hatten wir uns in Herrliberg zu einer Degustation getroffen. Bernard Antony, besser bekannt unter Maitre Antony, ist weltbekannter Käse-Affineur (Käse-Pimper, Käse-Verfeinerer), den Könige, Prinzen, Show-Stars und die Prominenz als ihren Freund bezeichnen. Dies war jedoch nicht immer so.
Bernard Antony, der als Maitre Fromager bereits zu Lebzeiten zur Legende herangereift ist, lebt noch immer im kleinen Elternhaus des Elsässer 600-Seelendorf Vieux-Ferrette, wo er auch seine Jugend verbracht hat.


“Wir waren arme Teufel. Mein Vater arbeitete als Taglöhner ….Totengräber … Bauernknecht. Geld hatten wir keines. Wir waren Selbstversorger. Es gab zwei Ochsen, zwei Kühe – und viel, viel Kartoffeln aus dem Garten. Natürlich auch Schweine und Kanninchen – alles für den Eigenbedarf”, so rückblickend Antony.
“Schon als kleiner Bub habe ich Kühe gemolken, wenn mein Vater im Wirtshaus überhockte (die Saufferei war eine Elsässer Bauernkrankheit jener Jahre) – ich half Gräber auszuschaufeln, Leichen einzusargen, Holz zu spalten – ich arbeitete wie ein Pferd”.
Schöne Kindheitserinnerungen? Er wischt die Frage wie Brosamen seines Mini-Baguettes vom Tisch. “Schön? Wann ist Armut je schön gewesen?! Solche verkitschte Verklärungen können sich nur Gut-Menschen erlauben, die stets im Überfluss lebten. Nein. Es war nichts Wunderbares an Entbehrung. Ich hatte ein einziges Paar Schuhe, ein Hemd, eine Hose und eine Unterhose, die am Freitag gewaschen wurde. An Ostern gabs Neues. Aber nur für die reichen Bauernkinder. Ich bekam alte, abgetragene Sachen. Einmal kam ich im umgearbeiteten Mantel eines Onkels in die Kirche. Die anderen Ministranten grölten: “Nicht einmal an Ostern hat er etwas Neues … nur alte Lumpen … er ist ein Lumpenkind … arm…..arm ….arm. So etwas geht dir nie mehr aus dem Schädel ……”.

In den 1970er-Jahren fuhr Antony mit seinem Verkaufswagen über die südelsässischen Dörfer, brachte den Hausfrauen Lebensmittel und Strümpfe, Backpulver und Mehl. “Ich war den ganzen Tag unterwegs, bis zum späten Abend”, erinnert sich jener Mann, der erst ganz allmählich die Geheimnisse des Käses für sich entdeckte und dann eifrig losstudierte. “Ich habe viel meinem Lehrmeister Pierre Androuet zu verdanken.” Der damals schon berühmte Pariser Affineur erzählte ihm von den Besonderheiten der Käsereifung, dass man manche Sorten mit Salzwasser, andere mit Marc de Bourgogne einreiben, dass man die Laibe in regelmässigen Abständen zu wenden hat und welche Luftfeuchtigkeit die Lagerräume aufweisen müssen.

Mit den Jahren konzentrierte sich Antony immer mehr auf Käse. 1979 verkaufte Bernard in seinem Lastwagen keine Kurzwaren mehr und baute mit Hilfe von Ersparnissen seiner Mutter einen neun Quadratmeter kleinen Keller im Haus seiner Eltern aus, der zunächst als Lager für die auf Märkten verkauften Käse diente.
Auf sein Käse-Reich angesprochen meint Bernard: “Ich habe es mir nicht ausgesucht, Käseaffineur zu werden. Nein, der Käse ist zu mir gekommen, weil ich ihn beobachtet, ihm zugehört habe. Richtig herstellen und reifen lassen kann man Käse nur in Einklang mit seiner Natur und wenn man seinen Charakter verstanden hat”.
Bernard Antonys Leben veränderte sich schlagartig mit der Entscheidung, ab 1983 nur noch Käse zu verkaufen. Damit begann Antonys Erfolgsgeschichte, die irgendwie auch eine Abfolge von schicksalhaften Begegnungen war. Irgendwie sahen bekannte Persönlichkeiten das Talent des Käse-Autodidakten und förderten ihn. Um selbst ein anerkannter Käsehändler zu werden, riet ihm Pierre Androuet, einer der angesehensten Käsemeister Frankreichs und Bernards Mentor, müsse er Rohmilchkäse verkaufen. Seine 1983 – das ist das Jahr, in dem Bernard Antony mit dem begann, wofür er heute Weltruf besitzt. Damals startete er seine Laufbahn als “Affineur”, das ist ein Beruf, den man in Frankreich so kennt, und der mit der deutschen Bezeichnung “Käseveredler” nur unzureichend umschrieben wäre.

Zur Zeit beliefert der Käse-Spezialist 71 Sternehäuser auf dieser Welt – darunter 19 verschiedene 3-Sterne-Paläste. Das macht ihm kein anderer nach. Und kein anderer schickt seine Köstlichkeiten zur Queen an den Hof („König Charles ist ein grosser Fan der Fromages aus der Cave Maître Antony“), zu allen Fürstenhäusern („Monaco war das erste“) und zu den Palästen der Scheichs in arabische Gefilde („Sie bestellen am Montag – am Mittwoch abend ist der ganze Käse dort!“)
Häufig kommen auch Liebhaber in seinen kleinen Laden, oder Menschen, die das Besonderes für ihre nächste Feier suchen. Nicht selten legen sie dafür 500 Kilometer oder mehr zurück – den Rückweg noch gar nicht eingerechnet. “Wenn man Hunger hat, kann man jeden Käse essen. Aber Geniessen, das ist etwas anderes”, sagt er.

Dabei ist es nicht geblieben. Ehemalige Staatspräsidenten, berühmte Persönlichkeiten, Schauspieler – sie alle nennen Bernard Antony ihren Freund. Der kleine Mann mit der grossen Aura nimmt’s eher gelassen – oder zumindestes tut er so – dass seine Kunst ihn in die besseren und illustren Kreise katapultiert hat. Er will nicht eitel erscheinen, aber dennoch zeigt er gerne Bücher, in denen sich die berühmten Kunden mit lobenden Worten über Bernard verewigten. Ein Zitat, auf das Antony besonders stolz ist, schrieb ihm die Koch-Legende Alain Ducasse als Widmung in Antonys Käsebibel: “Man kann sagen, dass der Käse das Glück hatte, Bernard Antony zu begegnen”.

Ein Satz, den man erst einmal sacken lassen muss, weil er das Mysterium zwar beschreibt, aber sein Geheimnis nicht preisgibt. Man wird nicht Affineur – es ist ein lebenslanger Prozess. Es reicht nicht, dafür einen Käse in den Kühlraum zu legen und abzuwarten, bis er besser schmeckt. Denn wann geschieht es, was ist besser, wer sagt einem, wann Reife eine Perfektion erreicht hat, die nur Tage später sich in in Luft auflöst und dann eher dem Begriff Stinkkäse Ehre bereitet, ohne wirklich an Qualität zu gewinnen?

“Menschen mögen Käse”, singt Antony in typisch elsässischer Mundart. “Das war immer so. Und unsere Kunden sind froh, dass sie uns haben, weil wir die Käseweltverbessern und ihnen verständlich machen”. Das Warum ist dabei nichts, das einen Platz im Kosmos von Bernard Antony hat. Es ist das Wie, das zählt.

Und dazu gehören auch endlose Touren zu den Herstellern. Affineur zu sein, das bedeutet nicht nur Käse veredeln zu können. Neben den ständigen Besuchen bei Kunden wollen auch die Lieferanten kontrolliert werden – wobei Bernard Antony das nie so formulieren würde. “Ich habe keine Lieferanten. Ich habe Freunde”, sagt er dazu.
Wird fortgesetzt…..
Kontakt
Fromagerie Antony, Bernard & Jean-Francois Antony, 5, rue de la Montagne, F-68480 Vieux-Ferrette, Tel. +33 03 89404222, contact@fromagerieantony.fr
Die Fromagerie Antony ist 3 Monate im voraus ausgebucht. Eine Degustations-Brettle kostet 24 Euro pro Person.