China ist der wichtigste Wachstumsmarkt für die Luxusindustrie. Doch gerade brechen die Umsätze dort ein. Die Gründe vielfältig – immerhin ein Land profitiert besonders davon.
Masse schlägt Klasse. Während die Marke Nivea ihre Umsätze im ersten Halbjahr um über elf Prozent steigern konnte, haben die Luxusmarken Absatzprobleme. Hersteller Beiersdorf musste bei Hautpflegeprodukte-Linie La Prairie, die zu den teuersten der Welt zählt, einen Rückgang der Erlöse um sieben Prozent hinnehmen. Schon im Vorjahr hatte die Luxusmarke über 15 Prozent eingebüsst.
Die Ursache: China. Neben Beiersdorf leiden Luxuskonzerne wie Swatch Group, Kering, LVMH und Richemont weltweit unter der schleppenden Nachfrage in der Volksrepublik. Die 1,5 Billionen Dollar schwere Luxusbranche ist besonders hart betroffen. Denn China ist für die vor allem aus Europa stammenden Luxuslabels der wichtigste Wachstumsmarkt.
Derzeit stehen Käufer aus China für 23 Prozent der globalen Umsätze mit Luxusgütern. Nach Prognosen des Beratungsunternehmen Bain solle es schon 2030 bis 40 Prozent sein. Chinesen wären dann die wichtigste Käufergruppe vor Europäern und Amerikanern. “Der Grund für die hohe Bedeutung Chinas ist die kontinuierlich steigende Zahl der wohlhabenden Kundschaft, die bereit ist, in hochwertige Produkte zu investieren”, sagt Bain-Partnerin Marie-Therese Marek.
Die chinesische Mittelschicht leidet unter den Folgen der Immobilienkrise und ist angesichts der Wachstumsschwäche nicht in der Stimmung, Luxusartikel zu kaufen. Analysten der Schweizer Großbank UBS bezeichnen China gar als „größtes Risiko“ für den Luxussektor.
Auch LVMH ist vom Konsumrückgang in China betroffen


Selbst bei dem erfolgsverwöhnten Luxuskonglomerat LVMH mit seinen 75 Edelmarken wie Louis Vuitton, Dior oder Bulgari gingen die Umsätze in der Geschäftsregion, die auch China umfasst, im zweiten Quartal um 14 Prozent zurück. Beim britischen Luxuslabel Burberry musste angesichts einer Gewinnwarnung sogar der Chef gehen. Im jüngsten Quartal sanken die Burberry-Umsätze in China um 21 Prozent.

Die Gucci-Mutter Kering fürchtet angesichts der Lage in China, dass der Betriebsgewinn in der zweiten Jahreshälfte um etwa 30 Prozent sinken könnte, nachdem er bereits in der ersten um 42 Prozent eingebrochen war. Auch Hugo Boss macht für seine niedrigeren Gewinne die „besonderen Herausforderungen“ in China verantwortlich.

Die Folgen an der Börse: Die Aktie von Burberry hat seit Jahresbeginn die Hälfte verloren, bei Hugo Boss sind es über 40 Prozent, bei Kering liegt das Minus bei einem Drittel, LVMH notiert 14 Prozent tiefer.
Bei den meisten Luxusmarken hat sich das Wachstum – nach den Boomjahren nach der Pandemie – abgeschwächt, mitunter sogar unter das frühere Niveau. Der Umsatz mit persönlichen Luxusgütern wie Schuhen, Lederwaren, Parfüm und Schmuck dürfte in diesem Jahr laut Bain nur zwischen null und vier Prozent wachsen. Zwischen 1996 und 2019 betrug das jährliche Plus im Schnitt noch sechs Prozent.
Immobilienkrise sorgt für Kaufzurückhaltung

Sichtbar wird das auch in Pekinger Nobeleinkaufsmeilen wie dem Taikooli-Viertel. Zwar stauen sich jeden Freitag nach Feierabend auf den Zufahrtsstraßen die Autos, zwischen Apple-Store und Chanel-Boutique drängen sich Menschen. Doch es fällt auf, dass nur wenige der Besucher auch Taschen mit Einkäufen tragen.
Im Juni waren die Umsätze der Einzelhändler nur um gut zweit Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen und damit weniger als von Experten erwartet. Ein wichtiger Grund für die Kaufzurückhaltung: Schätzungen zufolge stecken rund drei Viertel des Vermögens chinesischer Privathaushalte in Immobilien.
Wegen der Immobilienkrise fallen jedoch die Wohnungspreise, was für Verunsicherung sorgt. Hinzu kommt die Angst, den Job zu verlieren. Denn die Baubranche hat vor der Krise direkt und indirekt bis zu einem Drittel zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Im zweiten Quartal wuchs Chinas Wirtschaft offiziellen Daten zufolge für das Land vergleichsweise langsam mit 4,7 Prozent.
Dennoch ist die chinesische Mittel- und Oberschicht bereit, Geld auszugeben – wenn auch anders als bislang: So gab es der Beratung McKinsey zufolge bei Chinas Konsumenten einen „sprunghaften Anstieg bei Inlands- und Auslandsreisen“. Auch die Nachfrage nach Bildungsangeboten und Gesundheitsprodukten sowie Lebensmitteln und Getränken ist stark gestiegen – nicht aber nach Luxus.
Der chinesische Luxusgütermarkt hatte sich laut Bain zwischen 2017 und 2021 verdreifacht. 2023 wuchs er nach einem Corona-bedingten Einbruch wieder um zwölf Prozent. Luxusexpertin Veronique Yang, Partnerin der Beratung BCG in Shanghai, rechnet damit, dass die Luxusausgaben chinesischer Verbraucher in diesem Jahr nur im niedrigen einstelligen Bereich steigen werden.
Von der Zurückhaltung sind nicht alle Luxuslabels gleich betroffen. Einstiegsmarken wie Gucci oder Burberry leiden stärker. Besonders hochpreisige Edelmarken wie Hermès oder Prada bekommen den Abschwung weniger zu spüren. Hermès etwa gilt als Marke mit hoher Preissetzungsmacht, zudem gibt es für die besonders begehrten Kelly- und Birkin-Handtaschen lange Wartelisten.
„Luxus-Scham“ in China

Doch selbst hier gibt es Eintrübungen. Hermès wuchs im ersten Halbjahr in der Geschäftsregion Asien-Pazifik ohne Japan zwar um fast zehn Prozent – allerdings so schwach wie in keiner anderen Region. Auch Prada musste trotz zwölf Prozent Wachstum in dieser Region einräumen, dass die Lage in China schwieriger werde.
Das liegt auch daran, dass reiche Chinesen ihren Wohlstand angesichts der Wachstumsschwäche nicht mehr so offen zur Schau stellen wollen – obwohl sie es sich finanziell leisten könnten und China traditionell eine positive Einstellung zu Wohlstand und Status hat. „Zum ersten Mal in der Geschichte erleben wir in China eine Luxus-Scham“, erklärt Bain-Luxusexpertin Federica Levato.
Statt in die Einkaufszentren zu gehen, würden einige Kunden lieber private Termine vereinbaren und sich für unauffällige und diskrete Mode anstelle von „sehr sichtbaren und auffälligen Artikeln“ entscheiden. Dieser Trend werde aber wohl nicht von Dauer sein, so Levato. Nach der Finanzkrise 2008 war eine solche Haltung auch in Europa und den USA zu beobachten.
Japan profitiert von Chinas Schwäche
Dass der chinesische Inlandsmarkt schwächelt, liegt auch daran, dass die Verbraucher wieder mehr Geld im Ausland ausgeben. Seit dem Wegfall der strikten Corona-Reisebeschränkungen fließen nach BCG-Daten 30 bis 40 Prozent der Luxusausgaben wieder in Märkte außerhalb der Volksrepublik. Während der Pandemie, als sich China von der Außenwelt abschottete, gaben Chinesen über 90 Prozent in ihrem Heimatmarkt aus.

Von der Entwicklung profitiert vor allem Japan. Die Zahl der Touristen aus der Volksrepublik stieg im ersten Halbjahr um über 415 Prozent – vorherrschendes Motiv: Luxus-Shopping. Ein wichtiger Grund ist der aus Sicht ausländischer Käufer günstige Wechselkurs der japanischen Währung. Der Yen erreichte gerade den niedrigsten Stand zum Dollar seit über zwei Jahrzehnten. Er verlor auch im Vergleich zum chinesischen Yuan.

So gingen die Umsätze der Gucci-Mutter Kering in Japan um 42 Prozent nach oben. Bei LVMH betrug das Plus neun Prozent, „das insbesondere auf die Einkäufe chinesischer Reisender zurückzuführen” sei. Auch Burberry erklärte das Wachstum in Japan mit Touristen aus China.
Für die Labels muss das keine gute Nachricht sein. Denn nach Bain-Angaben können chinesische Kunden in Japan bis zu 30 Prozent sparen. Auch LVMH-Finanzchef Jean-Jacques Guiony räumte jüngst ein, dass das niedrigere Preisniveau in Japan die Marge belaste.
Die neue Reiselust der Chinesen führt sie auch nach Südkorea. Ein junges Ehepaar, das gerade das Prada-Geschäft in der Einkaufsmeile Taikooli verlässt, will dorthin fliegen, „weil die Duty-free-Shops dort nicht nur billiger sind, sondern auch mehr Taschen und Kosmetika im Angebot haben“, erzählen sie der digitalen TOURBILLON Plattform TICK-TALK.CH.
Zwei bis drei Mal im Jahr gönnen sie sich nach eigenen Angaben Luxusprodukte, meist zu Geburtstagen oder zum Hochzeitstag. Dabei gehen sie zwar in Läden, um die Produkte „zu erleben“. Kaufen würden sie jedoch online, weil man dort „oft Rabatte und viele Gratiszugaben“ bekomme.
Keine schnelle Erholung in Sicht
Wie das Ehepaar diskutieren viele Nutzer auf Internetplattformen, in welchen Ländern sie Luxusmarken besonders günstig einkaufen können. Vor Corona war es üblich, dass Reisende von Familie und Freunden Einkaufslisten mit Luxusartikeln bekamen, die sie aus dem Ausland mitbringen sollten.
Erste Luxuskonzerne reagieren auf die schwächelnde Nachfrage mit Rabatten. Vor allem Einsteigermarken wie Versace oder Burberry bieten Vergünstigungen von bis zu 50 Prozent an. Fachleute warnen aber vor dieser Strategie, weil dadurch die Marke beschädigt werden könnte.

“Die chinesischen Konsumenten bleiben eine entscheidende Konsumkraft für globalen Luxus.“
Veronique Yang, BCG-Luxusexpertin
Bain-Luxusexpertin Marek rät stattdessen dazu, sich auf die Top-Klientel zu fokussieren. „Viele Luxusanbieter spezialisieren sich auf die besonders wohlhabenden Kunden und bieten speziell auf sie zugeschnittene Produkte und Kauferlebnisse zu sehr hohen Preisen an.“
Auch wenn keine schnelle Erholung des chinesischen Luxusmarkts in Sicht ist, empfiehlt BCG-Partnerin Yang Luxuslabels, weiter dort zu investieren. „Die chinesischen Konsumenten bleiben eine entscheidende Konsumkraft für globalen Luxus.“
Der Markt trete nach Jahren explosiven Wachstums nun in eine reifere Entwicklungsphase ein, „für die wir eine ähnliche Wachstumsrate wie für den globalen Luxusmarkt erwarten“. Das scheint auch die Industrie so zu sehen: Erst vor wenigen Tagen hat L’Oréal in Pekings Einkaufsmeile Taikooli ein neues Geschäft seiner Luxus-Kosmetikmarke Aesop eröffnet.
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