Die Volksrepublik ist 2021 zum grössten Markt für Luxusuhren avanciert. Seit der Immobilienkrise sind die Zeitmesser noch attraktiver – und sie haben einen entscheidenden Vorteil.
Das Parkview Green ist eines der nobelsten Einkaufszentren in der chinesischen Hauptstadt. Vor der pyramidenartigen Glasfassade prangt eine Engelsstatue in glänzendem Silber, entlang der Auffahrt kurven deutsche und italienische Edelkarossen umher.
Im Shoppingcenter selbst haben die Superreichen die Qual der Wahl: Dort ist nicht nur einer von insgesamt zehn offiziellen Rolex-Händlern Pekings untergebracht, nein, gleich nebenan begrüsst auch die Konkurrenz die gut betuchte Kundschaft: Tudor, das Schwesterunternehmen von Rolex, sowie IWC Schaffhausen betreiben hier ebenfalls je einen Laden. Die wirklich begehrten Uhrenmodelle sind jedoch derzeit ohne Wartezeiten gar nicht zu haben.
Grenzschliessungen treiben den Heimkonsum hoch
Tatsächlich wurden noch nie so viele Luxusuhren in China verkauft wie dieser Tage. Allein die Schweizer Konzerne haben in den ersten zehn Monaten des laufenden Jahres ihre Exporte in die Volksrepublik im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gesteigert. Im Oktober publizierte die Unternehmensberatung Deloitte eine Studie, die besagt, dass fast 60 Prozent aller Schweizer Uhrmacher fortdauerndes Wachstum für den chinesischen Markt prognostizieren.
Das hat zum einen damit zu tun, dass die Chinesen seit den strengen Grenzschliessungen nicht mehr quarantänefrei ins «Duty free»-Paradies nach Hongkong reisen können, wo sie zuvor ihre Statussymbole eingekauft haben – ohne die saftige Luxussteuer, die Festlandchina erhebt. Generell lenkt die Oberschicht ihren Konsum um, denn an Reisen ins Ausland ist derzeit gar nicht zu denken. Aufgrund der «Null Covid»-Strategie werden selbst Trips im Inland immer brenzliger: Erst am Mittwoch riegelten die Behörden die 13-Millionen-Metropole Xian wegen einer Handvoll Infektionsfälle ab.
Der Ansturm auf Rolex und Co. hat jedoch auch mit einer sich verändernden Wirtschaft zu tun: Traditionell parkten die Chinesen ihr Erspartes vor allem in Immobilien, bis zu 80 Prozent des Privatvermögens ist in den Bausektor investiert. Doch im Zuge der Evergrande-Krise strauchelt die gesamte Branche, zudem wird sie von der Zentralregierung mittlerweile streng reguliert. «Häuser sind zum Wohnen da und nicht zum Spekulieren», lautet ein Ausspruch von Staatschef Xi Jinping, der dieser Tage oft von den Staatsmedien zitiert wird.
Da Immobilien keine Rendite mehr abwerfen und die Aktienkurse rasant schwanken, bieten sich Luxusuhren noch stärker als zuvor fürs Investment der Superreichen an. Im Gegensatz zu Häusern sind Uhren auch «beweglich»: Sie lassen sich ziemlich leicht über die Grenze ins Ausland transportieren, wenn die Zollbeamten nicht so genau aufs Handgelenk schauen. Viele Chinesinnen und Chinesen nutzen jedenfalls dieses eigentlich illegale Schlupfloch, um ihren Wohlstand aus dem Land zu schieben. Denn offiziell darf ein jeder Bürger aufgrund der strengen Kapitalverkehrskontrollen pro Jahr nur umgerechnet 50’000 Dollar aus dem Land bringen.
All dies steht entgegengesetzt zur derzeitigen Politik von Staatschef Xi. Dieser propagiert «Wohlstand für alle» und bittet die Reichen des Landes immer offensiver zur Kasse: Unternehmer werden zu Spendenzahlungen gedrängt oder werden in den Staatszeitungen für ihren dekadenten Reichtum angeprangert.
Schweizer Uhr ist auch ein Symbol der Dekadenz
Dabei stehen Schweizer Luxusuhren nicht nur für Status und traditionelles Handwerk, sondern auch für Dekadenz und oftmals Korruption. In den Jahren vor Xi Jinpings Amtszeit, als kritische Berichte gegen Politiker noch geduldet wurden, war es ein regelrechter Volkssport unter Investigativreportern sowie selbsternannten Bürgerjournalisten, Lokalpolitiker aus der Provinz mit ihren goldenen Uhren am Handgelenk abzufotografieren. In den Bildunterschriften wurde dann nicht nur der Preis des Uhrenmodells notiert, sondern auch der offizielle Monatslohn der Parteikader.
Mittlerweile gibt sich die KP-Führung wesentlich bescheidener: Statt Designerhemden trägt man mittlerweile meist eine funktionale Mao-Jacke, und das Handgelenk bleibt nackt.
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